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Und wenn sie nicht gestorben sind, ...

Liebe Leserinnen und Leser,

ja, das Leben ist ungerecht. Denn aus unerfindlichen Gründen wird der Segen einer retrograden Amnesie, den meisten Zeitgenossen erst nach einem akuten Ereignis wie einem halbwegs passablen Schädel-Hirn-Trauma oder zumindest einer handfesten Gehirnerschütterung vergönnt, die Eliten des Landes immer häufiger zuteil.  Anders  sind Vorgänge wie dieser hier - fast - nicht erklärbar:
 
17. Oktober 2008: Die Bundesregierung schustert in einer Nacht- und Nebelaktion den SoFFin zusammen, der notleidenden „too big to fail-Banken“ im Falle eines Falles mit insgesamt bis zu 480 Milliarden Euro aus der Patsche helfen soll. Und sie legt fest, dass der SoFFin bei derartigen Maßnahmen die Regierung nicht konsultieren muss.

09.09.2010: Die Vorstandsvorsitzende der Hypo Real Estate, Manuela Better, verkündet auf der Handelsblatt-Tagung „Banken im Umbruch“, dass die HRE früher als geplant aus der Verlustzone kommen und schon 2011 wieder die Gewinnschwelle erreichen werde. Dann schon am ...

10.09.2010: Die SoFFin gewährt der Hypo Real Estate eine neuerliche Kreditbürgschaft über 40 Milliarden Euro, natürlich - satzungsgemäß - ohne das (angeblich) vorher mit Berlin abzustimmen. Bundesregierung und aller fünf im Überwachungsausschuss des SoFFin vertretenen Parteien jaulen medienwirksam vor Empörung auf. Eine gute Woche später:

18.09.2010: Der SPIEGEL berichtet, dass sich die Manager der mittlerweile mit 142 Milliarden Steuergeld-Euro abgesicherten Bank Bonuszahlzungen von 25 Millionen Euro verabreicht haben. Die offizielle „Haltet den Dieb“-Entrüstung brandet erneut auf, Hand in Hand mit der Forderung, dass „so etwas nie wieder passieren dürfte“.
Eine Forderung, die übrigens auf den Tag genau so alt ist wie das Fehlen jeder diesbezüglichen Regelung im Finanzmarktstabilisierungsgesetz. Dumm auch, dass sich die HRE seit dem 05. Oktober 2009 im Besitz und unter Kontrolle des Staates befindet, der für die Verhinderung von „so etwas“ zuständig gewesen wäre.
Und nach drei Tagen am ...

21.09.2010: Der Sprecher des Finanzministeriums, Michael Offer, kommt nicht umhin einzugestehen, dass die Bundesregierung von den Bonuszahlungen der HRE (in deren Aufsichtsrat je ein Vertreter des Kanzleramtes, des Finanz-, des Justiz- und des Wirtschaftsministeriums sitzen) vorab informiert wurde und sie gebilligt hat. Gerade noch rechtzeitig, bevor das in der kommenden Woche im Bundestag diskutierte Restrukturierungsgesetz der Bankenaufsicht das Recht einräumen dürfte, Bonuszahlungen in sgn. Krisensituationen vollends zu verbieten?

Wie gut, dass der sgn. kleine Mann offensichtlich noch vergesslicher ist als seine politische Führung. Und dass er im Dschungel der allzu vielen Nullen auch nicht zu realisieren scheint, dass vom Säugling bis zum Tattergreis ein jeder über den SoFFin derzeit mit rund 6.000 Euro als Bürge(r) für marode deutsche Banken bereit steht. 

Was nun passieren wird? Eigentlich nichts. Nun ja, ein bisschen Untersuchungsausschuss und ein paar „dazu konnte es keine Alternative geben“-Sprüche, mehr nicht. Nicht dass ich davon ausginge, dass frühere Regierungen seriöser, wahrhaftiger und weniger weit entfernt vom abgelegten Amtseid operiert hätten; das Erschreckende an dieser Regierung ist, mit welchem „spätrömischem Dilettantismus“ sie ihr Tun und Nichttun zu kaschieren versucht.

USA: REZESSION VORÜBER

Seit Montag ist es also amtlich: Die Rezession in den USA ist vorbei! Das hat das viel beachtete Ökonomengremium der NBER herausgefunden. Die längste Rezession in den Staaten seit der Großen Depression des letzten Jahrhunderts begann danach im Dezember 2007 und endete im Juni letzten Jahres. Warum diese späte Erkenntnis? Weil die Berechnung der komplexen Daten angeblich so zeitaufwändig ist. Vielleicht sollten die Damen und Herren einmal über den Kauf eines gebrauchten PCs nachsinnen. Finanziell sollte das nach dem Ende der Rezession doch machbar sein.

Unterstützung bekam die Analyse des NBER (rein zufällig ebenfalls am Montag) durch die OECD, die für die USA keinen Rückfall in die Rezession mehr erwartet.

Ebenfalls rein zufällig finden in sechs Wochen Kongresswahlen statt. Und wie es aussieht, könnte den Demokraten dort eine empfindliche Schlappe drohen.

Seit dem nun entdeckten Ende der Rezession im Juni letzten Jahres ist die Arbeitslosenquote noch ein wenig weiter gestiegen (von 9,5 auf jetzt 9,6 Prozent),  etwas über 100 kleinere und mittelgroße Banken haben Insolvenz angemeldet,  die Leistungsbilanz hat sich deutlich verschlechtert, der ECRI-Frühindikator für die US-Konjunktur ist von plus fünf auf minus zehn gefallen,  das Handelsbilanzdefizit hat sich von minus 33,1 auf minus 42,8 Prozent ausgeweitet, die Erzeugerpreise sind von plus 1,5 Prozent auf plus 0,35 Prozent gefallen,  die Verbraucherkredite erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg rückläufig,  die Industrieproduktion hat sich von plus 1,2 Prozent auf plus 0,2 Prozent zurück gebildet, die prozentuale Veränderung der Auftragseingänge für langlebige Geschäftsgüter im Vergleich zum Vormonat ist von plus 6,6 Prozent auf plus 0,4 Prozent gesunken, der NAHB Housing Market-Index von 19 auf 13 abgestürzt,  die Verkäufe neuer Eigenheime von 408.000 auf 276.000 gefallen, die der bestehenden Wohnimmobilien von 5,14 Millionen auf 3,83 Millionen.
Soweit die offiziellen Daten.

Wie die NBER vermutlich ganz ohne Amtshilfe der CIA aus diesen Daten jetzt rückwirkend das Gegenteil des Offensichtlichen und damit das Ende der Rezession berechnen konnte, bleibt schleierhaft, erst recht wenn man berücksichtigt, dass die amerikanischen Wirtschaftszahlen mittlerweile dermaßen stümperhaft „optimiert“ werden, dass sie vorne und hinten einfach nicht mehr zusammen passen.

Vor den Kongresswahlen, das scheint sicher, dürfen die Kurse an der Wall Street einfach nicht fallen, wenn es nach der Obama-Administration geht. Die Popularität des Präsidenten befindet sich auf dem Tief, und weitere Vermögensverluste der Kleinanleger (US-Bürger sind um ein Vielfaches stärker am Aktienmarkt engagiert als etwa die Deutschen) könnten sich bei den Wahlen als entscheidend erweisen.

UND WENN SIE NICHT GESTORBEN SIND,

… oder zu mehrjähriger „Sagenhaft“ verurteilt werden, dann wird uns das rührige Datendoping der statistischen Märchenerzähler auch in Zukunft die Wirklichkeit verschönern.

Der Blick auf die Wählerumfragen sowohl in den USA als auch hierzulande (schwarz-gelb mit zusammen jetzt nur noch 31 Prozent auf neuem Rekordtief) lässt jedoch vermuten, dass die politisch Verantwortlichen aller Wahrscheinlichkeit nach gründlich in ihrer Einschätzung der Befindlichkeit der Wähler irren. Einfach weil diese zwar vielleicht nicht alle bis 480.000.000.000 zählen können, aber ein diffuses Gespür dafür entwickelt haben, ob und wann sie an der Nase herum geführt werden.

An den Aktienmärkten mangelt es zwar auch nicht an diesem Gespür, aber die Mehrheit der Anleger (oder besser: die Mehrheit des Kapitals) scheint verstanden zu haben, dass sich damit keine Gewinne erzielen lassen, solange es sich gegen die Fließrichtung des Geldstroms  und die Kurserwartung des sgn. Mainstreams richtet.

2010 stellt diesbezüglich allerdings einen Sonderfall dar. Denn seit Jahresbeginn präsentiert sich die Mehrheit der internationalen Aktienbarometer trotz teils heftiger Kursausschläge unter dem Strich per heute nur wenig verändert. Von einem klaren Trend kann also mitnichten gesprochen werden, da mögen sich die Nutzer diverser Internetforen noch so sehr ihrem Wunschdenken hingeben. Bullen und Bären, insbesondere die hartnäckigen Zocker aus beiden Lagern, scheinen sich derweil die Zeit damit zu vertreiben, missgünstig aufeinander herum zu hacken.

Sinnvoller wäre es, einfach einmal in die Geschichte der Börse zu blicken. Denn hier zeigen sich drei Konstanten, aus denen sich für die gegenwärtige Konstellation etwas Brauchbares ableiten lässt:

Erstens: Auf Dauer setzen sich am Markt die Fundamentals immer durch, auch wenn es bisweilen dauert. Und diese Fundamentals sind weitaus schlechter (s. o.) als das  Bild, das uns gegenwärtig von ihnen präsentiert wird.

Zweitens: Auf lang andauernde Phasen von Seitwärtsmärkten folgen in aller Regel um so nachhaltigere Trendbewegungen, einfach weil nach der Phase der Unsicherheit das viele an der Seitenlinie wartende anlagebereites Kapital in den Markt strömt.

Drittens: Die Masse der Kleinanleger – und auch hier wieder insbesondere die durch die vielen Schieflagen frustrierten Zocker – ist zu diesem Zeitpunkt erst einmal von der Bildfläche verschwunden, da sie von den vielen voran gegangenen „wild swings“ des Marktes entweder finanziell oder mental aufgerieben wurde.

Die bereits vor einigen Wochen charttechnisch akut rückschlagsgefährdet wirkenden Aktienindizes haben sich buchstäblich auf den letzten Drücker noch einmal nach oben herauswinden können. Im DAX hat sich das seit Mai bestgehende Zickzackmuster damit erneut verlängert, ohne dass eine Entscheidung zugunsten der Bullen gefallen wäre.  Für einen aussichtsreichen Breakout müssen erst einmal die Jahreshochs überwunden werden – und das idealerweise unter anziehenden Umsätzen.

Die Hauptgefahr für die Märkte bleibt nicht das „Double Dip“ der US-Rezession. Denn ein Double Dip würde voraussetzen, dass sich die Konjunktur aus ihrem bestehenden Abwärtstrend schon einmal heraus gewunden hätte. Nach den oben aufgelisteten Daten ist das jedoch gar nicht der Fall. Das Risiko besteht vielmehr in einer Ausweitung der fortbestehenden Rezession in eine deflationäre Depression.

Als Überraschungsmoment der ungemütlichen Art muss aber auch China ins Kalkül gezogen werden, das seit Jahren in eine ausgewachsene Immobilienblase hinein wächst, den auch westliche Banken als neue Spielwiese entdeckt haben. Auch dieses schöne Märchen wird einmal zu Ende gehen, vor allem wenn den Investoren einmal bewusst werden sollte, dass die durchschnittliche Bestandsdauer eines chinesischen Eigenheims irgendwo zwischen zehn und fünfzehn Jahren liegt.

Eine wirklich gute Nachricht zu guter Letzt: Am Freitag startete die Staatsanwaltschaft umfangreiche Hausdurchsuchungen in Zusammenhang mit illegalen Insidergeschäften (scalping und frontrunning) bei sgn. Pennystocks. Dem Vernehmen nach sind auch zahlreiche Börsenbrief-Verlage involviert. So ärgerlich es ist, wie einzigartig lasch die deutsche Gesetzgebung und Strafverfolgung mit dieser ahnunglose Anleger Jahr für Jahr um Hunderte von Millionen Euro bringenden Betrugsmasche umgeht, so begrüßenswert ist es, dass sich hier nun endlich einmal etwas zu bewegen scheint!

Viel Erfolg und beste Grüße
Axel Retz

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