ALLES WIEDER IN BUTTER?
Auch in der Wirtschaft bzw. an den Börsen wünschen viele, dass es ewig Sommer bleiben möge. Die Erfahrung lehrt, dass dem nicht so ist. Klimawandel hin oder her. Und ob es den Marktteilnehmern nun gefällt oder nicht: Der zyklische Verlauf der Wirtschaft und die wechselnden Trends an den Märkten lassen sich nun einmal nicht wegdiskutieren.
Es liegt auf der Hand, dass es zum profitablen Handeln an den Börsen nur von Vorteil sein kann, das zu akzeptieren und sich über die aktuellen Koordinaten des Marktgeschehens innerhalb des Zyklus zu orientieren. Nur:
Sehe ich mir die teils unsachlich, teils geradezu aggressiv geführten „Diskussionen“ über die Wirtschafts-, Konjunktur- und Börsenperspektiven an, komme ich nicht um die Einschätzung herum, dass einige Marktteilnehmer ihren ganz persönlichen Zukunftswunsch auch gegen jeden noch so kleinen Hauch von Realitätswahrnehmung abschotten wollen – auf Kosten der Logik, auf Kosten der Wirtschaftsgeschichte. Und letztlich auch auf Kosten des eigenen Portemonnaies.
KRISE „HERBEI GEREDET“?
Diejenigen – und ich weiß mich hier in einem sehr kleinen Kreis – die bereits im Sommer letzten Jahres vor den üblen Auswirkungen der US-Immobilienkrise gewarnt haben und heute noch größere Risiken prognostizieren, müssen sich von dererlei Zeitgenossen den nachgeplapperten Vorwurf gefallen lassen, die Krise „herbei geredet“ zu haben.
Das ist in etwa so originell wie der Vorwurf an einen Meteorologen, kräftige Hagelschauer oder ein Gewitter herbei geredet zu haben. Nur alt gewordene Kinder, die die Wirklichkeit noch nicht verstanden haben und einfach „nicht wollen, dass es donnert“, fangen dann das Plärren an. Alle anderen stellen ihren Wagen beizeiten in die Garage. Bleiben Gewitter und Hagel aus – na und?
Umso besser!
Wie redet denn so ein einsamer Rufer in der Wüste wie ich eine Finanzkrise herbei? Die krassen Fehlentscheidungen und Fehlanlagen der weltgrößten Banken, die völlig vernachlässigte Risikovorsorge, die Spekulationsmanie an den (teils auch europ.) Immobilienmärkten, der Derivate- und Hedgefonds-Exzess, die völlig aus dem Ruder gelaufene Liquiditätsüberflutung der Märkte, die Carry-Trades, der Rohstoffpreis-Exzess, der Kursverfall der Weltleitwährung US-Dollar – all das konnte auch im Sommer vergangenen Jahres jeder sehen, der es nur sehen wollte. Denn es waren vor aller Augen ablaufende, teilweise schon seit Jahren bestehende, transparente Prozesse.
„Herbei geredet“ werden musste hier wahrlich gar nichts mehr, alle Fakten lagen bereits auf dem Tisch.
Dass es so wenigen Analysten, so gut wie kaum einer Bank, keiner Notenbank und keinem Wirtschaftsforschungsinstitut vor neun Monaten gelungen ist, daraus die korrekten Schlüsse zu ziehen, ist mehr als ein Fauxpas. Und heute diejenigen anzugehen, die damals zum rechten Zeitpunkt den warnenden Finger erhoben, kommt dem Vorwurf gleich, unerlaubterweise frühzeitig die doch so modischen Scheuklappen abgelegt zu haben.
DIE GUTEN ALTEN ZEITEN – UND DIE NEUEN
...Nun weiter im Text. Machen wir einfach einmal einen Kassensturz der heutigen Ausgangslage. Ich werde mich bemühen, die Dinge verständlich darzustellen und weder zu dramatisieren noch zu beschönigen. Mein Dank geht an einige Kollegen aus den USA und aus Paris, die mit wertvollen Beiträgen dazu beigetragen haben, Licht ins Dunkel der heute etwas undurchsichtigen Faktenlage zu bringen
Die US-Kollegen haben es sich zur Aufgabe gemacht, die zunehmend „kreative“ Erstellung der Wirtschaftsdaten aufzudecken und die tatsächlichen volkswirtschaftlichen Daten zu berechnen. Ein „Muss“ für Anleger, die der Ansicht ist, dass die Bush-Administration (wie auch vorherige Regierungen beider Lager) so etwas wie „unrichtige Tatsachendarstellung“ betreiben.
shadowstats.com hat mir gestattet, eine in dieser Woche veröffentlichte „Sonderanalyse“ auch an Nicht-Abonnenten durchzureichen. Sie finden diese Analyse als PDF-Datei unter www.shadowstats.com/privateprofits
Die im mittlerweile, wie ich höre, bereits frühlingshaften Paris ansässige Redaktion der französischen Kollegen ist erst seit 2006 unterwegs, startete aufgrund ihrer hochkarätigen Besetzung aber ausgesprochen viel versprechend. Ausgezeichnete Analysen, Hintergrund- Informationen. Ein ausgesprochen bearisher Grundtenor ist allerdings nicht zu übersehen
SIEBEN PUNKTE
Dieser beiden Quellen eingedenk, nun zum versprochenen Kassensturz:
Erstens: Die US-Wirtschaftsdaten sind in weiten Zügen geschönt. Die Rezession ist in vollem Gange. Die Zuwachsraten des BIP liegen bereits im Minus, die tatsächliche Inflation liegt bei über 12 Prozent. Die Berechnung der sgn. Core-Rate (Teuerungsrate ohne Energie- und Lebensmittelpreise) widerspricht der Lebenswirklichkeit. Verlorene Kaufkraft kann durch „optimierte“ Daten aber nicht kompensiert werden.
Zweitens: Die Rohstoffpreise explodieren, gerade auch im Nahrungsmittelbereich. Schuld daran sind m. E. keineswegs nur „böse“ Spekulanten. Schließlich wird jeder Markt im Wesentlichen von Angebot und Nachfrage bestimmt. Landwirtschaft/Viehzucht ist nun einmal extrem energie-abhänging. Die explodierten Ölpreise (Sorte Brent seit Anfang 2007 plus 128 Prozent) schlagen da zwangsläufig durch.
Drittens: China, eine vermögensmäßig sehr stark gespaltene Gesellschaft, aber auch Indien und andere wirtschaftliche Newcomer, stehen angesichts der Preissteigerungen bei Lebensmitteln vor ganz anderen Herausforderungen als etwa der nur durch die Olympiade hochgespülten, permanenten Verletzung der Menschenrechte. China schlägt sein Jahren Hunderte von Aufständen der verarmten Landbevölkerung blutig nieder.
Die Explosion der Nahrungsmittelpreise, kann sie nicht gestoppt werden, wird in den kommenden Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu sozialen Unruhen führen, wie wir sie heute schon in anderen Ländern erleben.
Viertens: Northern Rock in England hat gezeigt, was passieren kann, wenn nervös gewordene Anleger ihr Geld von der Bank holen wollen: Lange Schlangen, Chaos. Erinnerungen an die Weltwirtschaftskrise. Citigroup, Merrill Lynch, die Schweizer UBS und andere Großbanken stehen heute im Feuer. Niemand(!) kann den noch offenen Abschreibungsbedarf beziffern.
Sollte eines dieser Geldhäuser über den Jordan gehen, bricht das aktuelle Geldsystem zusammen. Nur 1,5 Prozent der „elektronischen“ Dollarnoten existieren auch physisch. US- Banken würden bei einem Ansturm (run) aufgeschreckter Anleger binnen Kürze unfähig sein, bestehende Guthaben auszuzahlen. Dieser „blinde Fleck“ des heutigen „digitalen Geldes“ übersieht, dass hier der Grundstein für ein sich selbst verstärkendes Panikpotential besteht. Nicht nur in den USA.
Fünftens: Sollte es zu einem derartigen worst case-Szenario kommen, sind die Auswirkungen völlig unkalkulierbar. Fest steht nur, dass die Lage sehr schnell eskalieren würde. Und zwar weltweit. Annähernde „Vor-Fälle“ gab es beim Zusammenbruch der Weimarer Republik, beim Niedergang Ex-Jugoslawiens und (heute) in Zimbabwe.
In all diesen Fällen explodierte die Inflationierung des Geldes, der gewohnte Handel / die Verfügbarkeit von Lebensmitteln brach zusammen. Und so etwas wie ein „Barter-System“ (Tauschhandel Waren gegen Waren) etablierte sich.
Sechstens: Mit der Abkopplung des Dollars von der Gold-Deckung (Bretton Woods) 1971 haben sich die USA in die Lage versetzt, mit Papiergeld alles kaufen zu können, was sie wollten. Und mit der durch die Zusage der milit. Stützung der arab. Ölförderländer erkauften Zusage dieser Länder, Öl ausschließlich gegen US$ zu verkaufen, wurde der Welt mehr oder minder diskret nahe gelegt, diese Papierwährung ohne jedes Wenn und Aber haben zu müssen.
Der Iran hat sich von der Öl/Dollarbindung bereits verabschiedet, andere wichtige Exportländer des Schmierstoffs der Wirtschaft (Russland, Venezuela) sind dabei. Dass der Dollar als Papierwert (und nicht als Wertpapier) diese neue Weichenstellung überleben kann, erscheint mehr als fragwürdig.
Siebtens: Das Immobilen-/Hypotheken-/Kreditdesaster veranlasst immer mehr Banken, ihre notleidenden Kredite an Dritte zu verkaufen. Der Markt für diese Transfers ist allerdings regelrecht zusammengebrochen, da das kleine Wurfspiel mit den heißen Kartoffeln nicht mehr beliebt ist.
Folge: Was überhaupt noch weggedrückt werden kann, geht zu Schleuderpreisen über den Tresen. An wen? In aller Regel an risikofreudige, in der Regel massiv unterkapitalisierte „Hedgefonds“ (die heute das Gegenteil von „Hedge = Schutz“ sind). Damit diese Gesellschaften die Junk-Anleihen und –Hypotheken überhaupt kaufen können, müssen sie Geld aufnehmen. Wo? Bei den Banken ...
Eine Rettungsaktion also, die keine ist, wenn Sie einmal einen Augenblick darüber nachdenken.
Genug der Punkte für heute. Ich muss einen Rehrücken vorbereiten. 63 Grad Kerntemperatur sind ideal, wenn Sie es wissen möchten.
Wo wir gerade beim Essen sind: 3,6 Prozent Inflationsrate hat EUROSTAT (das europ. Gegenstück zum Wiesbadener Statistischen Bundesamt) für März ausgewiesen. Der höchste Stand seit Einführung des Euro. Die Großhandelspreise hierzulande stiegen im März um 7,1 Prozent. Was auf Sicht, ebenso wie die deutlichen Anhebungen der Tariflöhne in den laufenden Lohnrunden, die Inflation weiter anheizen wird. So schnellten die Großhandelspreise entgegen den Experten- Erwartungen im März um 4,2 Prozent nach oben.
Das habe ich auch schon im Januar geschrieben, als die „Wirtschaftsweisen“ und ähnliche Adressen von einer bald sinkenden Teuerung fabulierten. Heute haben die Weisen veröffentlicht, dass teures Öl, teurer Euro und die Finanzkrise ein Problem werden könnten. Eine sehr späte Erkenntnis, die selbst BILD schon früher präsentierte. Eine Rezession halten die Wirtschaftsweisen für unwahrscheinlich. Darüber reden wir dann später noch mal ...
SPAGHETTI SCHLAGEN TAGESGELD!
Kurzum: Mögen Sie Wein, edle Spirituosen, exzellente Konserven? Oder auch nur ganz normale Lebensmittel wie Nudeln, Kaffee, Tee, Reis etc? all das hält sich über viele Jahre. Dann sollten Sie sich davon einfach einmal einen fetten Vorrat anlegen. Nicht etwa, weil die Wirtschaftskrise hinter der nächsten Ecke lauert, sondern, weil Sie damit teuerungsbedingt eine völlig risikolose, sichere Rendite erzielen werden, die Ihnen kein Tagesgeldkonto und keine Anleihe bietet.
In den „guten alten Zeiten“ hätte einer der oben angesprochenen sieben Punkte (Derivate- Exzess und Carry-Trades noch gar nicht besprochen) ausgereicht, um die Aktienmärkte senkrecht abstürzen zu lassen. Heute (bis jetzt) nicht. Heute feiern die Anleger, dass Citigroup im ersten Quartal „lediglich“ fünf Milliarden Dollar in den Sand gesetzt hat.
Daraus auf eine Unverwundbarkeit dieses Marktsegments zu schließen, hat einen sonderbaren Charme. Nämlich genau den, der bis vor gut einem Jahr auch noch für das finanzielle Perpetuum mobile US-Immobilen galt. Oder für die Boom-Börse China, wo sich der Shanghai Composite Index in den vergangenen sechs Monaten mal eben halbiert hat. 50 Prozent in sechs Monaten – das ist nichts anderes als ein Crash!
Kommt alles anders oder später als ich befürchte, sehen wir das im Marktverlauf. Und verrennen uns nicht in falsche Positionen. Genau aus diesem Grunde schlägt mein Herz, auch wenn Sie es in diesem Text nirgends finden, vor allem auf der charttechnischen Seite.
Obsiegt der aus welchen Gründen auch immer als „gesund“ bezeichnete Menschenverstand, befinden wir uns keineswegs am Ende der Krise. Sondern an ihrem Anfang. Daraus als Gewinner hervorzugehen, setzt u. a. voraus, sein Ego hinten an zu stellen. Und auf den Markt zu hören, was immer er auch tun wird.
Beste Grüße!
Axel Retz
Kolumne für www.zeitenwende.ch, www.ariva.de, www.finanztreff.de © Axel Retz, 17. April 2008 |