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Wenn der Hans zur Schule ging ...

Als der damalige US-Außenminister Colin Powell am 5. Februar 2003 vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Beweise für das Vorhandensein von Massenvernichtungswaffen im Irak und Kontakte zwischen Saddam Hussein und Osama bin Laden vorstellte, konnte er nicht ahnen, dass ihm diese „Beweise“ wenig später um die Ohren fliegen würden.

Wenig später trat Powell zurück, sprach vom größten Fehler seines Lebens und entschuldigte sich, während eine Untersuchung des Kongresses die Bush-Administration der bewussten Falschdarstellung der Fakten bezichtigte.

Anthony Scrivener, seines Zeichens britischer Staatsanwalt, bemerkte in der THE TIMES: „Es ist ein ernüchternder Gedanke, dass man zur Strafverfolgung eines Ladendiebs heute bessere Beweise braucht als dazu, einen Weltkrieg zu beginnen.“

Die präsidiale Konstruktion der Wirklichkeit

So langsam kommen auch die hartnäckigsten Gesundbeter an der Wall Street ins Grübeln, wie vertrauenswürdig eigentlich die veröffentlichten US-Wirtschaftsdaten sind: Binnen Jahresfrist hat sich der Ölpreis verdoppelt, andere Rohstoffe teilweise sogar noch stärker.

Die Krise am Immobilienmarkt, die offiziell erst gar nicht existierte und dann auf unbedeutend hoch gestuft wurde, hat sich zu einem Problem der globalen Kreditmärkte entwickelt, das Schneisen der Verwüstung in die Bankbilanzen schlägt und zu einem bis dato ungekannten Stühlerücken in den Chefetagen der Finanzhäuser geführt hat. Und die US-Wirtschaft? Sie wuchs im 3. Quartal nach ersten Schätzungen um 3,9 Prozent, die Produktivität sogar mit einer (annualisierten) Rate von 4,9 Prozent. Und der Arbeitsmarkt? Der Zusammenbruch des Immobilienmarktes dürfte Zehntausende von Jobs gekostet haben – aber nicht in der Statistik.

Im Gegenteil: Während mittlerweile fast täglich neue Milliardenlöcher in den Bilanzen der Banken auftauchen, der Markt für Subprime-Kredite fast völlig zum Erliegen gekommen ist und zahlreiche Unternehmen ihre Prognosen für die kommenden Quartale absenken, werden die Wirtschaftsdaten immer besser: Keine Inflation, keine Rezession. Statt dessen eine heile Anlegerwelt, wie sie schöner kaum sein könnte.

Lügen haben keine gar so kurzen Beine

Irgendwann, da bin ich mir sicher, wird auch dieser Schwindel aufgedeckt. Und zwar dann, wenn die die Schwerkraft der Fakten das hübsche Kartenhaus zum Einsturz bringt. Und dann wird es darum gehen, einen Sündenbock zu finden.

Bis jetzt aber können alle Beteiligten gar nicht mehr anders, als alles zu versuchen, um einen drohenden Zusammenbruch so weit wie irgend möglich hinaus zu zögern. Die Folgen von 20 Jahren expansiver Geldpolitik haben eine Situation geschaffen, die den Verantwortlichen praktisch keinerlei Alternativen mehr gibt, als einem „Der Zweck heiligt die Mittel“ zu folgen.Alan Greenspan, der alte Fuchs, hat schon einmal vorgesorgt: und in seinen unlängst veröffentlichten Memoiren den schwarzen Peter an die Bush-Administration weitergereicht, die das Schuldenfiasko verursacht habe.

Greenspan dürfte dafür seinen Grund haben: Nach dem Börsencrash von 1929 wurde die Investmentlegende Jesse Livermore vor einen Untersuchungsausschuss des Kongresses geladen, 1987 erwischte es den Finanzmagnaten George Soros.

Der „kategorische Instinktiv“

Betrachtet man sich den aktuellen Stand der wichtigsten US-Aktienindizes, die (bei S&P und DJIA) nahe ihrer Allzeithochs und im HighTechbereich nahe ihres Jahreshochs liegen, vermittelt das angesichts der „kreativen“ Wirtschafsdaten (die ja auch von unabhängigen Analysten wie www.shadowstats.com enttarnt werden) ein unerwartet stabiles Bild.

Nach über viereinhalb Jahren Hausse ist der „kategorische Instinktiv“ der Anleger nur zu verständlich: Eine dermaßen lange Hausse führt zwangsläufig zu einem Herdentrieb. Und einem Zug der Lemminge.

„Wenn der Hans zur Schule ging, stets sein Blick am Himmel ging. Vor die eignen Füße sicht, ja, da sah der Bursche nicht.“, heißt es in Heinrich Hoffmanns „Struwwelpeter“. Eine lesenswerte Lektüre auch für Jungbörsianer!

Beste Grüße!
Axel Retz

© Kolumne für www.finanztreff.de , 08.11.2007


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