Seltsam ist des Propheten Lied ...
„Seltsam ist des Propheten Lied, doppelt seltsam, was geschieht.“, bemerkte schon Johann Wolfgang von Goethe treffend. In einer Analyse zu den Ursachen des Zusammenbruchs der Weltwirtschaft und der Börsen ab 1929 fand ich eine bemerkenswerte Passage, die für die heutige Situation der Finanzmärkte durchaus „prophetischen“ Charakter hat:
„Der Überschuss an Krediten, den die Nationalbank von Japan und die Fed in die Wirtschaft gepumpt hatten, sprang auf den Aktienmarkt über – was einen phantastischen spekulativen Boom auslöste. Verspätet wurde von Vertretern der Federal Reserve versucht, den Liquiditätsüberhang abzuschöpfen und schließlich gelang es auch, den Boom zu stoppen. Aber es war zu spät. 1929 war das spekulative Ungleichgewicht dermaßen groß geworden, dass die Bemühungen der Notenbank einen starken Personalabbau in der Wirtschaft und eine erhebliche Eintrübung des Geschäftsklimas auslösten. Das Ergebnis war eine kollabierende US-Konjunktur. [...] Die Weltwirtschaft stürzte in die große Depression der 30er Jahre.“
Was Alan Greenspan nicht gelesen hat – und nicht lesen musste!
Liest man das, kommt einem zwangsläufig die seit 1987 von Alan Greenspan fast 20 Jahre lang betriebene Politik des billigen Geldes in den Sinn. Was zu der Frage führt, ob der Ex- Notenbankchef diese Analyse niemals gelesen hat. Denn er flutete die Märkte mit frischem Geld. Und zwar in einem Umfang, der höher lag als die gesamte „Geldschöpfung“ aller vorheriger Notenbank-Chefs (seit Gründung der FED im Dezember 1913) zusammen
Nun: Gelesen hat Greenspan diese Analyse vermutlich nicht. Was sich auch erübrigt, denn er hat sie selbst geschrieben! (Alan Greenspan: Gold and Economic Freedom, erschienen in The Objectivist, 1966, später noch in einigen Büchern abgedruckt).
Beim 1987er Crash – Alan Greenspan hatte gerade erst im Sessel des Notenbankchefs Platz genommen – erwies sich die Bereitstellung von Liquidität durch die Notenbank als probates Mittel, das die den Kurssturz auslösenden Probleme zwar nicht lösen, sie aber zumindest kompensieren und ihre Lösung verschieben konnte.
Die seitdem zu beobachtende Ausweitung der Geldmenge ist historisch beispiellos. Der Effekt: Die Notenbank ist nicht mehr wirklich handlungsfähig. Sie hat nur noch die Wahl, die durch ihre ungehemmt expansive Geldpolitik geschaffenen Probleme durch noch mehr Liquidität zu überdecken. Liquidität, die sofort zum Entstehen neuer spekulativer Blasen führt, bei deren Platzen erneut weiteres Geld in den Markt geschleust werden muss, um einen Zusammenbruch abzuwenden.
Daten aus der Wundertüte
Dass das nicht in alle Ewigkeit gut gehen kann, liegt auf der Hand. Bis jetzt ist es den Verantwortlichen aber gelungen, die scheinbar beste aller Anlegerwelten intakt zu halten. Was nur mit dem Einsatz sehr „kreativer“ Wirtschaftsdaten gelingen konnte. Ob Inflation, Wirtschaftswachstum oder Produktivität: Wie die angeblich positiven Daten zustande kommen, bleibt für selbst denkende Volkswirte eine permanente Wundertüte.Letzter Gag: Die heute veröffentlichten Daten zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) im dritten Quartal, die heute veröffentlicht wurden. Danach soll die US-Wirtschaft im vergangenen Quartal mit einer annualisierten Rate von 3,9 Prozent gewachsen sein. Sehe ich mir hierzu die in die Berechnung des BIP einfließenden Daten der letzten drei Monate an, beginne ich zu ahnen, wo Harry Potter sich sein Taschengeld aufbessert.
Heute Abend ist Ben Bernanke gefragt. Eine wirkliche Wahl hat er nicht. Zinssenkungen müssen her, wenn nicht heute, dann bald. Problemkind bleibt der US-Dollar. Denn im Euroraum (so EuroStat heute) ist die Inflationsrate im Oktober auf 2,6 Prozent hoch gelaufen. Die EZB wird also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den bereits für August geplanten und nur durch die damaligen Turbulenzen vertagten Zinsschritt nach oben binnen Kürze nachholen.
Zum Schluss möchte ich Ihnen noch ein Zitat aus dem von mir ins Deutsche übersetzten Buch „The Alchemy of Finance“ von George Soros mit auf den Weg geben: „Die Beteiligten sind nicht in der Lage, einen sich entwickelnden Boom zu verhindern, selbst wenn sie erkannt haben, dass er ungesund ist und zwangsläufig zum Zusammenbruch führen muss. Das Beste, was ein Beteiligter tun kann ist, zur rechten Zeit aufzuhören, ein Beteiligter zu sein.“
Beste Grüße – und einen erholsamen Feiertag!
Axel Retz
© 31.10.2007 – Kolumne für www.ariva.de |