Universalmedizin Leitzinssenkung?
Gerade einmal zwei Monate ist es her, dass die Aktienbörsen weltweit in heftigste Turbulenzen gerieten. Und dafür gab es handfeste Gründe: Die Immobilienkrise in den USA weitete sich zur Hypothekenkrise, die Hypothekenkrise zur Kreditkrise aus.
Mittlerweile scheint das Beben vorbei zu sein; im „Mutterland“ der Probleme, den USA, haben Dow Jones und der marktbreite S&P 500, soeben wieder neue Allzeithochs ansteuern können.
Dollarsturz, Kreditverknappung, geschönte Inflations-, Produktivitäts- und BIP-Daten in den Vereinig- ten Staaten - das alles hakten die Anleger euphorisch ab, nachdem die Federal Reserve ihren angeblichen Fokus auf die Teuerungsraten an den Nagel gehängt, eine 180-Gradwende vollzogen und den Leitzins (Fed Funds Rate) um einen halben Prozentpunkt gesenkt hatte.
Das Credo, dass sinkende Leitzinsen per se positiv für die Aktienmärkte sein müssen, macht auf den ersten Blick sicherlich Sinn: Sinken die Kreditkosten, werden Unternehmensinvestitionen, aber auch Hypothekendarlehen und Privatkredite billiger. Theoretisch zumindest.
Sinkende Leizinsen sind keine Garantie für steigende Kurse!
Problematisch wird es immer dann, wenn dieser Theorie die Praxis abgeht. Und das tut sie nun schon seit 1999, wie ich Ihnen im nachstehenden Chart abgebildet habe:
Ab Juni 1999 hob die US-Notenbank den Leitzins sechsmal an - und der S&P 500 stieg! Beginnend mit der Jahreswende 2000/2001 startete die FED dann den historisch schärf- ten Zinssenkungsmarathon ihrer Geschichte - und die Börsen stürzten parallel dazu so stark ab wie niemals zuvor seit der großen Weltwirtschafts- krise ab 1929. Umgekehrt lief es dann wieder ab Juni 2004: Obwohl die US-Währungshüter den Schlüssel- zins in 17 Schritten von 1,00 Prozent auf 5,25 Prozent nach oben schleusten, legte die Wall Street in diesem Zeitraum massiv zu.
Betrachte ich mir diesen nun schon seit acht Jahren bestehenden Zusammenhang, frage ich mich, auf was die Masse der Anleger an den Märkten heute eigentlich setzt. Die Antwort: Auf das Gegenteil dessen, was sich seit 1999 abgespielt hat! Damit stellt sich natürlich die Frage, warum die volkswirtschaftliche Binsenweisheit „guter“ fallender und „böser“ steigender Leitzinsen offensichtlich seit Jahren nicht mehr gilt.
Schöne Grüße aus Japan!
Die Lösung des Rätsels ist überraschend einfach: Es nutzt wenig bis nichts, wenn eine Notenbank die Leitzinsen nach unten schleust (siehe Aktienmarktcrash 2000 - 2003), wenn die Geschäftsbanken nicht bereit sind, ihrerseits den Geldhahn aufzudrehen und das frische Geld an Kreditnehmer weiterzureichen.
Genau das ist heute der Fall - so wie im Japan der 90er Jahre, als die BoJ den Leitzins auf Null setzte, die Banken Kredite aber nur noch an Schuldner bester Bonität herausgaben.Und heute? Heute steigen(!) in den USA die Zinsen für Kredite, die Nachfrage nach Titeln, die nicht mindestens ein AA im Rating haben, ist vollends ausgetrocknet. Und auch hier zeigt sich der Wirkungs- mechanismus der „Globalisierung“, nicht nur beim britischen Immobilienfiananzierer Northern Rock: Europaweit ist die Kreditvergabebereitschaft der Banken im letzten Monat auf ein Vierjahrestief abgestürzt.
Anleger, die davon ausgehen, dass die im August offen zutage getretenen Probleme durch den Zins- schritt der FED (oder auch mögliche weitere) geheilt werden können, sollten sich warm anziehen. Denn vieles weist darauf hin, dass der Härtetest für die Finanzmärkte erst noch kommt!
11. Oktober 2007 © Axel Retz 2007 |