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Pack die Badehose ein!

Liebe Leserinnen und Leser,

für das Wochenende ist mit dem ersten Schnee zu rechnen. Käme deswegen irgendjemand auf die Idee, jetzt rasch die Temperaturprognose auf minus 30 Grad abzusenken, würde dennoch niemand beim Fallen der ersten Schneeflocken und Temperaturen „nur“ um den Gefrierpunkt auf die Idee kommen, sein Picknickkörbchen mit allerlei Essbarem und ein paar Flaschen kalten Bieres zu bestücken, um ein paar Stunden am Badesee zu verweilen.

Börsianer sind da anders gestrickt. Senkt ein Unternehmen wie Intel im Vorfeld der Veröffentlichung der Quartalszahlen seine Prognose auf minus 30 Grad ab, um dann bei Vorlage der Zahlen doch nur Temperaturen um den Gefrierpunkt zu verkünden, geraten Börsianer in Feierstimmung.

Das tun sie auch Monat für Monat, wenn sie erfahren, dass irgendwelche neuen Konjunkturzahlen besser als erwartet ausgefallen sind, während die ebenfalls besser als erwartet veröffentlichten Daten des Vormonats mit langweiliger Regelmäßigkeit uns Minus korrigiert werden und auch weniger helle Anleger doch so langsam begreifen müssten, dass auch die neuen Zahlen wieder dieses Schicksal teilen werden.

Schier außer Rand und Band gerät die Investorengemeinde aber, wenn sie erfährt, dass die US-Notenbank, mit ihrer über Jahrzehnte hinweg betriebenen Politik des ultraleichten Geldes für die Finanzkrise maßgeblich mitverantwortlich, diese Politik nun vollends auf die Spitze treiben will.

Von der Arbeitslosigkeit zu Zeiten der Großen Depression des letzten Jahrhunderts sind die USA jetzt nach den Berechnungen der unabhängigen Analysten um John Williams von www.shadowstats.com mit aktuell 22,5 Prozent nur noch 2,5 Prozent entfernt, das Desaster am Immobilienmarkt setzt sich nach Auslaufen schuldenfinanzierter Einmalmaßnahmen der Regierung um so heftiger fort, die Anzahl der Zwangsversteigerungen steigt auf neue Rekorde. Dem Automobilabsatz, ebenfalls kurz durch Finanzspritzen aufgepumpt, geht wieder die Luft aus, das Verbrauchervertrauen bewegt sich trotz scharfer zwischenzeitlicher Erholung auf dem Level früherer Rezessionstiefs, die Anzahl der in den überregionalen Zeitschriften veröffentlichten Jobangebote ist auf den tiefsten Stand seit 1953 gefallen, während die Kreditnachfrage der konsumsüchtigen US-Verbraucher 2009 erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg rückläufig war (und immer noch ist).

ALTE LEHREN
 
Noch vier Tage, dann jährt sich wieder einmal der berüchtigte, von den meisten heutigen Börsianern aber nicht selbst aktiv mit erlebte 19. Oktober. 1987 hatte ich, einigen von Ihnen vielleicht bekannt, beim damaligen Crash, dem größten seit 1929, an diesem Tag den Verlust von 30.000 DM zu beklagen.

Nicht etwa, weil ich, wie fast alle Anleger damals, vom Kurssturz kalt erwischt worden wäre, sondern weil ich diesen Crash aufgrund meiner damals noch mit Papier und Bleistift ausgewerteten Charts bereits für Juli, August oder September „berechnet“ und in diesem drei Monaten mit jeweils 10.000 DM auf einmonatige, extrem weit aus dem Geld liegende Puts auf den S&P 500 gewettet und dieses Geld in den Sand gesetzt hatte, bevor der Crash dann knapp drei Wochen später stattfand. Damals bin ich „baden gegangen“!

Betrachtet man diesen „Jahrhundert-Crash“ aus heutiger Perspektive, muss man ihn im Chart schon markieren, um ihn nicht zu übersehen.

Bemisst man die damaligen Probleme der Weltwirtschaft mit den heutigen, erscheint diese charttechnische Bedeu-tungslosigkeit durchaus angemessen. Damals, und das wissen viele der heutigen Jungbörsianer gar nicht, die noch grün hinter den Ohren sind um im Frühjahr von den Hasen gefressen werden, legte der erst zwei Monate vor dem Crash ins Amt gelangte US-Notenbankchef Alan Greenspan mit seiner Flutung der Märkte mit Liquidität den Grundstein für die heutige Krise und befreite sozusagen die unseligen Geister, die sich seitdem nie mehr in die Flasche zurückzaubern ließen.

Um so wichtiger erscheinen mir die Lehren, die ich damals aus meiner verfrühten Prognose des Unausweichlichen habe ziehen können: Die Märkte arbeiten, was die Verarbeitung der Fundamentals betrifft, zwar immer „effizient“, lassen sich damit aber oftmals erheblich mehr Zeit als wie von nobelpreisgekürten Wirtschaftstheoretikern beschrieben.

Die Antwort darauf kann nicht lauten, Fundamentals wie etwa die oben beschriebenen einfach in den Wind zu schlagen. Sie muss lauten, sie zu beachten, für ihre Entfaltung aber einen ausreichend langen Zeitraum einzuplanen, da wir zwar wissen, dass das Irrationale der Märkte in unsere Richtung umschwenken wird, aber nicht, wann.

Und genau aus diesem Grund investiere ich nur in lang laufende Positionen und meide kostspielige Knockout-Scheine. 2010 war ein Jahr, dass allen Börsianern bis jetzt ein Lehrstück in Sachen Geduld abverlangt hat.
1987 wäre es gut gewesen, wenn ich davon ein klein wenig mehr mitgebracht hätte. Denn wäre ich mit einer meiner 10.000 DM-Positionen damals noch im Spiel der Spiele mit dabei gewesen, hätte sich in ca. 6.000.000 DM verwandelt.

Gelernt ist gelernt! Gewiss tickt die Welt heute etwas schneller als früher. Aber sie tickt nicht anders!

Viel Erfolg und beste Grüße!
Axel Retz

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