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ICH DOCH NICHT!

Kopfschüttelnd und in der festen Überzeugung, diese Lektion schon lange gelernt zu haben, stellen viele Anleger immer wieder fest, wie sehr andere Börsianer immer noch in eingefahrenen Denkschemata gefangen und daher nicht in der Lage sind, das Offensichtliche überhaupt wahrzunehmen. „Ich doch nicht!“, wirft dann das Gehirn ein – und der Mensch freut sich.

Aber machen wir einmal einen kleinen Test, wieweit es denn wirklich her ist mit dem Vermögen, die Wirklichkeit so wahrzunehmen wie sie ist. Sehen Sie sich einfach diesen Chart an – er ist kühlender Balsam in die Wunden der vom Markt seit Monaten arg geschundenen Haussiers:

Chart 1

Was für ein Chart! Sie sehen einen seit Anfang 2003 bestehenden, vernichtenden Abwärtstrend, der nun mit Verve nach oben durchbrochen wurde. Die Wende vollzog sich über eine umgekehrte Schulter-Kopf-Schulter-Formation (SKS), deren gestrichelt abgebildete Nackenlinie kraftvoll nach oben überkreuzt wurde.

Und der 200 Tage-Tage-GD, im Wochenchart als GD40 eingezeichnet, hat zu Jahresbeginn nach oben eingedreht und zieht nun seit Monaten deutlich an. Abgerundet wird dieser bullishe Mix durch ein neues, bestätigendes Kaufsignal des Trendfolge-Indikators MACD.Bullisher kann ein Chart beim besten Willen nicht aussehen. Und läuft alles „nach Plan“, steht aktuell bestenfalls ein technisches Pullback bis an die Nackenlinie der SKS-Formation zu erwarten, bevor sich der Aufwärtstrend fortsetzen sollte. Ich denke, so weit sind Sie mit mir d’accord. Und ich verstehe sehr gut, dass Sie nun wissen möchten, um welche Aktie, welchen Index oder welches Wertpapier sonst es sich handelt. Ich will Sie nicht auf die Folter spannen. Hier die Lösung:

Chart 2

Es handelt sich um den Chart des europäischen Blue Chip-Aktienbarometers DJ Euro Stoxx 50, den ich allerdings um die horizontale Achse gespiegelt, also respektlos auf den Kopf gestellt habe.

Die einfache Konsequenz:

All das, was sich bei der Interpretation des ersten Charts als bullish und als Kaufargument dargestellt hat, verkehrt sich im realen Chart des DJ E. Stoxx 50 logischerweise in sein Gegenteil.

Nur:

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die meisten Anleger viel eher bereit sind, die Aussage des bullishen (aber falschen) Charts zu akzeptieren als die des tatsächlichen Charts. Weil „abwärts“ für die meisten Menschen einfach emotional schwerer handzuhaben ist als „aufwärts“, da eine Baisse des Aktienmarktes mit diffusen Ängsten um die eigene Vermögenssituation, einen möglichen Arbeitsplatzverlust etc., also mit möglichen negativen Konsequenzen verknüpft wird. Die Folge:

Anstatt die Fakten frühzeitig anzuerkennen und von der Abwärtsbewegung des Marktes zu profitieren, werden die negativen Aussagen des Charts solange wie irgend möglich verdrängt, relativiert oder unter einer dicken Schicht Hoffnung zugespachtelt.

IM NACHHINEIN KLÜGER?

Natürlich können Sie jetzt einwenden, dass es herzlich wenig hilft, den Zeigefinger zu erheben, nachdem das Kind schon über den Brunnenrand gefallen ist.

Damit liegen Sie allerdings falsch. Denn das, was jetzt an den Märkten abläuft, kam keineswegs wie ein Blitz aus heiterem Himmel, es war vorhersehbar. Und während die meisten Analysten den Bullenmarkt der letzten fünf Jahre einfach nicht aus ihren Köpfen verbannen konnten und mit teilweise unglaublicher Sturheit an ihrem Haussegeschrei festhielten (und teilweise immer noch –halten), habe ich frühzeitig gewarnt. Hier eine kleine Übersicht meiner Aussagen. Bitte beachten Sie vor allem auch die Datumsangaben – ich zitiere nur aus dem letzten Jahr, beginnend mit dem Start meiner Webseite www.private- profits.de, wo Sie die Kolumnen alle nachlesen können.

AUS KOLUMNE VOM 18. SEPTEMBER 2007

„Der Überschuss an Krediten, den die Nationalbank von Japan und die FED in die Wirtschaft gepumpt hatten, sprang auf den Aktienmarkt über – was einen phantastischen spekulativen Boom auslöste. Verspätet wurde von den Vertretern der Federal Reserve versucht, den Liquiditätsüberhang abzuschöpfen. Und schließlich gelang es auch, den Boom zu stoppen. Aber es war zu spät [...] Die Weltwirtschaft stürzte in den große Depression der 30er Jahre.“

Zitat aus meiner Kolumne vom 18.09.2007. Zitiert: Alan Greenspan aus „Gold and Economic Freedom“, erschienen 1966 in „The Objectivist“.

AUS KOLUMNE VOM 24. SEPTEMBER 2007

“USA: Rezession ODER Inflation? Falsche Frage! Die USA sind, so wie es heute aussieht, in den unschönen Mix aus Inflation UND Rezession hinein gefahren. Dass sich die Federal reserve im Zweifelsfalle immer pro Konjunktur und gegen Inflationsbekämpfung entscheiden würde, hatte ich in früheren Kolumnen immer wieder betont. Der „Leidtragende“ wird der Dollar sein.“

AUS KOLUMNE VOM 26. SEPTEMBER 2007

„Fallende Leitzinsen allein sind alles andere als ein Garant für steigende Aktienkurse.“

AUS KOLUMNE vom 01. OKTOBER 2007

„Dem steht natürlich die mögliche Bekämpfung der Inflation durch die EZB gegenüber. Und hier wird es schwierig. Für den Dollar. Für die Hausse der Aktienmärkte, die sich bis jetzt den offenkundig massiv schlechteren „Fundamentals“ entgegen gestemmt hat, läuft – so oder so- die Eieruhr ab.“

AUS KOLUMNE VOM 11. OKOBER 2007

„Erneut ist die Summe kreditfinanzierter Aktienkäufe eingebrochen. Und zwar von einem Niveau aus, das weit höher liegt als zum Zeitpunkt des New Economy-Irrsinns!“

AUS KOLUMNE VOM 19. OKTOBER 2007

„Heute wie damals (1987) herrscht die sonderbare Auffassung, dass die genannten schlechten Wirtschaftsdaten vielleicht alles Mögliche beeinflussen können – nur nicht die Wirtschaft geschweige denn die Aktienmärkte. Wie originell!“

AUS KOLUMNE VOM 31. OKTOBER 2007

„Bis jetzt ist es den Verantwortlichen aber gelungen, die scheinbar beste aller Anlegerwelten intakt zu halten. Was nur mit dem Einsatz sehr „kreativer“ Wirtschaftsdaten gelingen konnte. Ob Inflation, Wirtschaftswachstum oder Produktivität: Wie die angeblich positiven Daten zustande kommt, bleibt für selbst denkende Volkswirte eine permanente Wundertüte...

Die Beteiligten sind nicht in der Lage, einen sich entwickelnden Boom zu verhindern, selbst wenn sie erkannt haben, dass er ungesund ist. Das Beste, was ein Beteiligter tun kann ist, zur rechten Zeit aufzuhören, ein Beteiligter zu sein.“

AUS KOLUMNE VOM 08. NOVEMBER 2007

„Die Krise am Immobilienmarkt, die offiziell erst gar nicht existierte und dann auf „unbedeutend“ hoch gestuft wurde, hat sich zu einem Problem der globalen Kreditmärkte entwickelt, das Schneisen in die Bankbilanzen schlägt.“

AUS KOLUMNE VOM 21. NOVEMBER 2007

„Über viereinhalb Jahre Hausse haben die Gehirne der Anleger umprogrammiert, die Baisse von 2000 – 2003 ist verdrängt. (Fast) niemand ist bereit, die beste aller Welten zu hinterfragen. Das zeigen auch die Sentiment-Indikatoren. Von wachem Risikobewusstsein, hoher Skepsis oder gar einem Überhang der Pessimisten sind wir weit entfernt.

Das erinnert an das Verhalten von Kleinkindern, die beim Gewitter „nicht wollen“, dass es donnert. Es donnert dennoch. Die gute Botschaft: Nach dem Gewitter wird es meistens wieder schöner. Die schlechte: Das Gewitter hat gerade erst begonnen.“

UND HEUTE?

Heute tobt das Gewitter immer noch, viele Aktienindizes sind in der vergangenen Woche auf Mehrjahrestiefs abgestürzt, bevor dann in Richtung auf den Verfalltermin der Optionen bis Freitag eine Erholung einleitete.

Für die meisten Anleger war das erste Halbjahr ausgesprochen bitter. Nicht für meine Leser. Ganz im Gegenteil. Und wenn Sie sich noch einmal die beiden oben abgebildeten Charts ansehen und meine oben stehenden, allesamt bereits im letzten Jahr getroffenen Aussagen Revue passieren, ahnen Sie vielleicht auch, was ich für die Zukunft erwarte.

Wie gesagt: Das Gewitter hat gerade erst begonnen. Und diejenigen, die sich damals über meine Kolumnen schlapp gelacht haben und (Zitat) „Die Bären mit dem nackten Hintern auf eine Herdplatte setzen werden.“, sind merkwürdig still geworden.

Beste Grüße!
Axel Retz

Der Verfasser ist Herausgeber der Webseite www.private-profits.de © 20. Juli 2008 für www.zeitenwende.ch


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